Montag, 12. Juli 2010

Der Angeklagte musste freigesprochen werden

"Nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung und der darin stattgefundenen Beweisaufnahme musste der Angeklagte aus tatsächlichen Gründen freigesprochen werden."

So steht es drin, im Urteil des Amtsgerichts S..

Die Formulierung "musste freigesprochen" werden, finde ich allerdings nicht - nett.

Ähnlich geht es auch meinem Mandanten, der, das Urteil in Händen, bei mir anrief und fragte, ob diese Formulierung so üblich sei. Es klinge ja gerade so, als sei es dem Gericht unangenehm oder gar peinlich gewesen, ihn freizusprechen.

Ein Blick in andere "Freispruchakten" beweist, dass man einen Freispruch auch anders formulieren kann, etwa: "Der Angeklagte war aus tatsächlichen Gründen freizusprechen".

Mag die Formulierung auch ein wenig unglücklich klingen - am Ausgang des Verfahrens ändert sie nicht.

7 Kommentare:

Gast hat gesagt…

Hä? Die Formulierungen "war freizusprechen" und "musste freigesprochen werden" sind komplett bedeutungsidentisch.

Anonym hat gesagt…

"Der Angeklagte 'war' freizusprechen" ist auch nicht besser. Wissen wir als Juristen doch, daß die Gesetzessprache immer eine Variante von "sein" verwendet, wenn "muß" gemeint ist.

Beides drückt eine Nötigung des Gerichts aus, die unangenehm ist, ein Versagen des Systems darstellt und möglichst zu vermeiden ist. Beschwerde- und Revisionsgerichte verwenden daher häufig die Formulierung, daß ein Fehler zur Aufhebung der Entscheidung "nötige". Oftmals findet man auch den Zusatz "wenigstens vorläufig". Noch nie habe ich jedoch gelesen, daß die Sach- und Rechtslage das Gericht "zumindest vorläufig" zur Verurteilung "nötige". Das scheint vielmehr der angenehme Normalfall zu sein.

RA JM hat gesagt…

Naja, vielleicht passte dem Vors(chw)itzenden das Ergebnis auch nicht. ;-)

Kerstin Rueber-Unkelbach LL.M. hat gesagt…

@Gast: Wie so oft haben Sie mal wieder völlig Recht. Die Bedeutung ist gleich, aber der Ton machte die Musik.

Kerstin Rueber-Unkelbach LL.M. hat gesagt…

@Kollege Melchior: Ein schönes Beispiel dafür, wie man freisprechen und trotzdem bestrafen kann. Als nächsten Schritt dürfen Sie sich noch mit dem Bezirksrevisor zoffen wegen der Verteidigerkosten und der schale Nachgeschmack Ihres Mandanten erfährt einen weiteren Höhepunkt.

Werner Siebers hat gesagt…

Eine nervende Last halt. Das Gericht darf auch nicht aufs Klo, es muss (mal).

RA Neldner hat gesagt…

Das wird hier viel zu verbissen gesehen. Der Richter wollte lediglich zum Ausdruck bringen, dass es bei der Frage der Strafbarkeit keinen Ermessenspielraum gibt, sondern eine gebundene Entscheidung vorliegt. Folglich MUSS er als Subsumtionsautomat nur noch das vorher eigentlich schon feststehende Ergebnis ermitteln und verkünden. Völlig emotionlos.

/ironie off